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Tattoo-Farben im Umbruch: Die Schweiz setzt auf REACH

Doch was bedeutet das für Tätowiererinnen und Tätowierer, Studios und Kundinnen und Kunden? Welche Farben sind noch erlaubt? Und wie reagiert die Branche auf die neuen Vorschriften?

Warum gibt es neue Regeln?

Tattoo-Farben bestehen aus Pigmenten und Zusatzstoffen, die in die Haut eingebracht werden. Einige davon wurden als potenziell gesundheitsschädlich eingestuft, weshalb die REACH-Verordnung bestimmte Inhaltsstoffe verbietet oder nur noch unter strengen Grenzwerten zulässt.

Die wichtigsten Änderungen:

  • Bestimmte Pigmente und Zusatzstoffe sind verboten oder nur eingeschränkt zugelassen.
  • Hersteller mussten ihre Rezepturen überarbeiten und neue, REACH-konforme Farben entwickeln.
  • Studios dürfen nur noch zugelassene Farben verwenden und müssen deren Herkunft nachweisen.
  • Strengere Kontrollen durch die kantonalen Behörden.

Kritik an der REACH-Verordnung: Stellungnahme des Tätowierer/innen-Verbands VST

Der Verband Schweizerischer Berufstätowierer (VST) äussert erhebliche Bedenken gegenüber einigen Bestimmungen der neuen Verordnung.

In einer offiziellen Stellungnahme kritisiert der Verband insbesondere das Verbot des Pigments Blue 15:3 (CI 74160). Dieses Pigment wurde ohne ausreichende wissenschaftliche Grundlage eingeschränkt, obwohl nationale Behörden selbst keine belastbaren Daten zu einer Gesundheitsgefährdung vorlegen konnten.

Zudem weist der VST darauf hin, dass einige Grenzwerte der REACH-Verordnung technisch kaum umsetzbar seien. Bestimmte Anforderungen sind für Hersteller schwer oder gar nicht zu erfüllen, was die Verfügbarkeit von Tätowierfarben erheblich einschränken könnte.

Trotzdem unterstützt der Berufsverband grundsätzlich Massnahmen zur Erhöhung der Sicherheit von Tattoo-Farben. Er fordert jedoch eine Überarbeitung der Verordnung, damit sie auf einer fundierten wissenschaftlichen Basis beruht und in der Praxis realistisch umsetzbar ist.

Was bedeutet das für Studios?

Tattoo-Studios stehen vor neuen Herausforderungen, müssen aber sicherstellen, dass sie die neuen Vorschriften einhalten.

Pflichten für Studios

  • Nur noch REACH-konforme Farben verwenden – alte Bestände, die nicht den neuen Vorgaben entsprechen, dürfen nicht mehr genutzt werden.
  • Dokumentationspflicht einhalten – Studios müssen belegen können, welche Farben sie verwenden und woher sie stammen.
  • Strengere Kontrollen durch Behörden – je nach Kanton übernehmen das Lebensmittelinspektorat oder Gesundheitsbehörden die Überprüfung.

Was passiert bei Verstössen?

Studios, die gegen die Vorschriften verstossen, müssen mit folgenden Konsequenzen rechnen:

  • Geldbussen oder Verwarnungen durch die kantonalen Behörden.
  • Beschlagnahmung nicht zugelassener Farben.
  • Im schlimmsten Fall eine Betriebsschliessung.

Für seriöse Studios bedeutet die Umstellung jedoch auch eine Chance: Sie können sich als professionelle und sichere Anlaufstellen für Tattoo-Fans positionieren.

Was müssen Tattoo-Fans jetzt beachten?

Die neuen Vorschriften betreffen nur Farben, die ab Februar 2025 neu gestochen oder nachgestochen werden.

Worauf sollte man jetzt achten?

  • Nachfragen: Ein professionelles Studio gibt jederzeit Auskunft über die verwendeten Farben und zeigt Nachweise zur REACH-Konformität.
  • Qualität vor Preis setzen: Wer sich für ein Studio entscheidet, das nach den neuen Standards arbeitet, reduziert gesundheitliche Risiken.
  • Flexibilität bei Farben: Einige Farbtöne sind möglicherweise nicht mehr verfügbar, doch Hersteller haben Alternativen entwickelt, die den alten Farben sehr nahekommen.

Was ist mit Nachstechen?

Auch hier gelten die neuen Vorschriften. Studios dürfen nur noch zugelassene Farben verwenden.

Vorsicht bei günstigen Angeboten

Billige Tattoos könnten ein Warnsignal sein. Studios, die noch mit nicht zugelassenen Farben arbeiten, können niedrigere Preise anbieten – dies könnte jedoch gesundheitliche Folgen haben.

REACH als Chance: Innovation für die Branche

Trotz Kritik an der Umsetzung der Verordnung bringt sie auch Chancen für die Branche:

  • Mehr Sicherheit für Tattoo-Fans – weniger allergische Reaktionen und gesundheitliche Risiken.
  • Neue, innovative Farben – Hersteller entwickeln verbesserte Rezepturen, die noch länger halten und intensiver strahlen können.
  • Höheres Ansehen für seriöse Anbieter – Studios und Artists, die sich an die Vorschriften halten, gewinnen Vertrauen und sichern sich eine langfristig stabile Kundschaft.

FAQ – Häufige Fragen zur neuen Verordnung

Ich habe bereits ein Tattoo – muss ich mir jetzt Sorgen machen?
Nein, dein bestehendes Tattoo ist nicht betroffen. Die neue Verordnung gilt nur für Farben, die ab Februar 2025 verwendet werden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass ältere Tattoos plötzlich gesundheitlich bedenklich sind.

Was ist mit Nachstechen oder Erweiterungen?
Wer sein Tattoo nachstechen oder erweitern lassen möchte, muss darauf achten, dass nur noch REACH-konforme Farben verwendet werden. Studios dürfen keine früher verwendeten Farben mehr nutzen.

Kann ich trotzdem noch bunte Tätowierungen bekommen?
Ja, allerdings gibt es für einige Farben neue Formulierungen, da bestimmte Pigmente nicht mehr verwendet werden dürfen.

Wer kontrolliert, ob Studios sich an die Regeln halten?
In der Schweiz sind die kantonalen Behörden für die Kontrolle zuständig. Je nach Kanton übernehmen das Lebensmittelinspektorat, die kantonale Gesundheitsbehörde oder das kantonale Labor diese Aufgabe.

Was passiert, wenn ein Studio nicht regelkonform arbeitet?
Es drohen Geldbussen, Beschlagnahmung der nicht zugelassenen Farben oder im schlimmsten Fall eine Schliessung des Studios.

Neue Regeln, mehr Sicherheit, aber offene Fragen

Die Übernahme der REACH-Verordnung in die Schweizer Gesetzgebung sorgt für mehr Sicherheit und Transparenz in der Tattoo-Branche. Gleichzeitig gibt es noch offene Fragen zur Umsetzbarkeit einiger Regelungen, insbesondere bei Pigmenten wie Blue 15:3.

  • Für Tattoo-Studios bringt die Verordnung mehr Verantwortung, aber auch die Chance, sich als professionelle Anbieter zu etablieren.
  • Für Kundinnen und Kunden bedeutet die Verordnung mehr Sicherheit, setzt aber ein bewusstes Nachfragen bei der Farbwahl voraus.

Die Branche befindet sich im Wandel – ob die neuen Vorschriften langfristig sinnvoll und umsetzbar sind, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Bob Tyrrell: Meister des Realismus – Exklusives Interview

Bob Tyrrell ist eine lebende Legende der Tattoo-Welt. Berühmt für seine meisterhaften Black-and-Grey-Arbeiten hat er die Kunst des realistischen Tätowierens revolutioniert und sich weltweit einen Namen gemacht. Mit fast 30 Jahren Erfahrung in der Branche hat er unzählige ikonische Werke geschaffen und ist eine Inspiration für Künstler/innen und Tattoo-Liebhaber/innen gleichermassen.

Was Bob von anderen unterscheidet, ist nicht nur sein technisches Können, sondern auch seine Leidenschaft, mit jedem Tattoo eine einzigartige Geschichte zu erzählen. Seine realistischen Porträts und detaillierten Arbeiten sind geprägt von Tiefe und Ausdrucksstärke, die ihm internationale Anerkennung eingebracht haben.

Im exklusiven Interview mit tattoo.ch gibt Bob Tyrrell Einblicke in seine Anfänge, seine künstlerische Vision und die Entwicklungen in der Tattoo-Welt, die ihn geprägt haben.

Anfänge & Inspiration

Hi Bob, du hast deine Karriere im Tätowieren erst relativ spät begonnen. Was hat dich dazu inspiriert, in die Tattoo-Branche einzusteigen?

Bob Tyrrell: Ich habe auch relativ spät angefangen, mich tätowieren zu lassen. Mein erstes Tattoo habe ich kurz vor meinem 30. Geburtstag bekommen. Ich wollte schon eins, seit ich 18 war, habe es aber jahrelang aufgeschoben. Als ich dann endlich mein erstes Tattoo bekam, war ich sofort süchtig – wie die meisten von uns. Ich liess mich danach intensiv tätowieren. Zu dieser Zeit fing ich auch wieder an zu zeichnen, nachdem ich seit der Kunstklasse in der High School nichts mehr gemacht hatte.

Mit 31 oder 32 Jahren nahm ich ein paar Kunstkurse und entdeckte wieder meine Liebe zur Kunst. Nach etwa drei Jahren, in denen ich mich tätowieren liess und künstlerisch tätig war, entschied ich mich, ein Praktikum zu suchen. Ich begann im Alter von 34 Jahren mit dem Tätowieren. Mein Praktikum absolvierte ich bei Eternal Tattoos in Detroit, wo ich auch lebe.

Wer oder was hatte den grössten Einfluss auf deinen künstlerischen Stil in deinen frühen Jahren?

Bob Tyrrell: Als ich wieder mit dem Zeichnen anfing, wurde ich stark von einigen meiner Lieblingskünstler beeinflusst, wie Frank Frazetta, H.R. Giger und meinem Vater. Nachdem ich mit dem Tätowieren begann, waren Tätowierer/innen meine grössten Inspirationen. Tom Renshaw, der mir bei Eternal Tattoos das Tätowieren beibrachte, war damals der beste Black-and-Grey-Porträt-Tätowierer der Welt. Wirklich. Ich hätte in keinem besseren Studio lernen können. Er war meine grösste Inspiration, da ich mich irgendwann auf Porträts spezialisieren wollte.

Mein anderer grosser Einfluss war Paul Booth, er hat mich vier Jahre lang tätowiert, bevor ich selbst anfing zu tätowieren. Ich bin ein grosser Horrorfan und Paul war damals mein Lieblings-Tätowierer – wahrscheinlich ist er das immer noch! Er hat meinen gesamten Oberkörper tätowiert, abgesehen von meinem rechten Arm, der von Mario Barth gemacht wurde. Ich wurde von vielen Tätowierer/innen beeinflusst, zu viele, um sie alle zu nennen. Ein paar Namen: Robert Hernandez, Jack Rudy, Brian Everett, Filip Leu, Corey Miller und viele mehr.

Persönlicher Stil & Technik

Deine Black-and-Grey-Arbeiten sind weltberühmt. Was fasziniert dich an dieser Stilrichtung besonders und warum hast du dich darauf spezialisiert?

Bob Tyrrell: Ich habe Black-and-Grey-Kunst schon immer bevorzugt. In den drei Jahren, in denen ich vor dem Tätowieren kreativ arbeitete, habe ich ausschliesslich mit Bleistift und Kohle gearbeitet. Selbst als Kind habe ich immer nur mit dem Bleistift gezeichnet. Auch meine eigenen Tattoos sind alle in Black-and-Grey. Irgendetwas daran ist einfach zeitlos. Ich liebe die Tiefe und die Details, die ich damit erzielen kann.

Welche Tattoo-Tools und -Techniken bevorzugst du aktuell und wie haben sie sich im Laufe der Zeit entwickelt?

Bob Tyrrell: Ich bin vor etwa zehn Jahren von Coil-Maschinen (oder, wie ich sie nenne, „echte Maschinen“) auf Rotary-Maschinen umgestiegen. Ich mag einfach die Bequemlichkeit. Mit den Nadelkartuschen, die man einfach ein- und auswechseln kann, brauche ich jetzt nur noch eine Maschine. Mit Coil-Maschinen musste ich für jede Nadel eine eigene Maschine einrichten. Derzeit benutze ich eine Bishop Power Wand Packer, die ich liebe. Ausserdem verwende ich Davinci-Kartuschen, die von Bishop hergestellt werden. Davor habe ich Cheyenne-Maschinen verwendet, die ebenfalls grossartige Maschinen und Kartuschen herstellen. Für die Farbe verwende ich ein Bob Tyrrell Signature Set, das ich liebe.

Künstlerische Herausforderungen

Gibt es ein bestimmtes Motiv oder eine Technik, die du besonders herausfordernd findest?

Bob Tyrrell: Die grösste Herausforderung ist der Hauttyp und die Stelle am Körper, die du tätowierst. Manche Menschen haben zähere Haut, lockere Haut oder Haut, die schnell rot wird und stärker blutet. Ich habe erst beim Tätowieren realisiert, wie viele verschiedene Hauttypen es gibt. Gelegentlich treffe ich auf diese perfekte „Tattoo-Haut“ – wenn das passiert, weiss ich, dass es ein guter Tag wird! Verschiedene Körperbereiche sind auch unterschiedlich schwer zu tätowieren. Ich liebe es, Arme und die meisten Teile der Beine zu tätowieren. Schwieriger sind der Bauch, die Brust und der Nacken. Ich hasse es, Hälse zu tätowieren! In meinen 28 Jahren habe ich nur vier Hälse tätowiert und hoffe, dass ich nie wieder einen machen muss.

Entwicklung der Branche

Wie hat sich die Tattoo-Welt verändert, seit du angefangen hast? Siehst du diese Entwicklung positiv oder kritisch?

Bob Tyrrell: In den 28 Jahren, in denen ich tätowiere, hat sich viel verändert. Positiv ist, dass das Niveau der Tattoo-Kunst und -Technik enorm gewachsen ist und sich weiterentwickelt. Es wird immer besser und das ist grossartig. Der Nachteil ist, dass die Branche ein bisschen zu gross geworden ist. Tattoos wurden im Laufe der Jahre immer beliebter und immer mehr Menschen wollten lernen, wie man tätowiert. Das ist grundsätzlich cool, aber es gibt auch viele, die weder zeichnen können noch künstlerisches Talent haben. Diese Leute haben in der Branche nichts zu suchen. Sie tätowieren schlechten Kram auf Menschen, die damit leben oder es weglasern oder covern lassen müssen. Leider war das schon immer so. Wir alle haben schon schreckliche Tattoos gesehen.

Ein weiterer Nachteil ist die Flut an neuen Studios und Hobby-Tätowierer/innen, die nur Geld verdienen wollen. Die Ethik und der Respekt unter Tätowierer/innen sind grösstenteils verschwunden. Früher war die Tattoo-Welt viel kleiner. Es war etwas Besonderes. Die Magie verschwindet langsam. Ich vermisse die alten Zeiten.

Was hältst du von modernen Technologien wie Rotary-Maschinen oder digitalen Tools für Tattoo-Designs?

Bob Tyrrell: Ich liebe Rotary-Maschinen wegen ihrer Bequemlichkeit, Nadelkartuschen und jetzt sind sie kabellos! Kein Kabel mehr, das im Weg ist und auch keine Pedale, auf die man treten muss. Und die digitalen Tools machen das Leben einfacher. Technologie! Das ist schon cool.

Erfolge & Meilensteine

Gibt es ein Tattoo oder Projekt, auf das du besonders stolz bist?

Bob Tyrrell: Es gibt bestimmte Tattoos, die in meiner Karriere herausgestochen sind. Einige coole Porträts oder massgefertigte Horror-Motive, die mir wirklich Freude bereitet haben. Ich habe unzählige Porträts von Musiker/innen, Schauspieler/innen und Prominenten gemacht – das sind immer tolle Arbeiten, an denen ich Spass habe.

Was war dein schönster oder bedeutendster Moment in deiner Karriere?

Bob Tyrrell: Es gab so viele, dass ich gar nicht sagen könnte, welches der schönste war! Es sind so viele erstaunliche Dinge in meiner Tattoo-Karriere passiert. Das Reisen war unglaublich – die Welt zu sehen. Ich war überall und das alles wegen des Tätowierens. Ohne das Tätowieren hätte ich nie Länder wie Südafrika, Japan, China, Australien, ganz Europa, Südamerika und viele andere Orte besucht. Das wäre alles nicht passiert – es sei denn, ich hätte vielleicht mit einer Band getourt oder so etwas! Die Freundschaften, die ich weltweit geschlossen habe, sind wirklich etwas Besonderes.

Tätowierungen für einige meiner Gitarrenhelden zu machen und mit ihnen befreundet zu werden, war ein grosses Plus! Ich lege keinen grossen Wert auf Auszeichnungen, aber ich habe einige Best of Show-Awards auf Conventions gewonnen und die haben mir wirklich viel bedeutet. Aber ich denke, der beste Teil dieser Tattoo-Reisen sind all die wunderbaren Menschen, welche ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe.

Ratschläge für Nachwuchs-Tätowierer/innen

Welchen Rat würdest du jungen Künstler/innen geben, die gerade erst in die Tattoo-Welt einsteigen?

Bob Tyrrell: Ich würde sagen, es ist wirklich wichtig, sich eine Lehre in einem guten Studio zu suchen. Es ist entscheidend, von Anfang an den richtigen Weg zu lernen. Bleib demütig. Sei freundlich! Und natürlich: Gib bei allem dein Bestes. Beeile dich nie bei einem Tattoo. Lerne und entwickle dich ständig weiter.

Welche Eigenschaften sind deiner Meinung nach essenziell, um in der Branche erfolgreich zu sein?

Bob Tyrrell: Gute Tattoos machen und nett zu den Menschen sein. Respektiere diejenigen, welche vor dir kamen. Es ist wichtig, die Geschichte des Tätowierens zu kennen.

Persönliche Einblicke & Vision

Was machst du, wenn du nicht tätowierst?

Bob Tyrrell: Wenn ich nicht tätowiere, spiele ich unglaublich gerne Gitarre. Ich spiele seit 47 Jahren immer wieder in Bands. Derzeit spiele ich in zwei Bands. Eine davon heisst About Kings, das ist die Band von Mario Barth. Die Jungs in der Band sind grossartige Musiker! Die andere Band ist eine Down Tribute Band, die wir Upside Down nennen. Es ist ein lustiges Projekt mit Freunden, die alle in anderen Bands spielen.

Abgesehen davon mache ich in meiner Freizeit gerne Bleistiftzeichnungen. Ich gehe auf viele Konzerte! Ich sage immer, ich plane mein Leben um Shows herum. Ich trage sie alle in den Kalender ein und plane meine Tattoo-Termine drumherum. Ausserdem liebe ich es, fernzusehen, aber genauso geniesse ich es, draussen zu sein, wenn es warm ist. Im Sommer sitze ich gerne auf meiner Terrasse – mit Kaffee und Gitarrenmagazinen.

Hast du andere kreative Hobbys oder Leidenschaften?

Bob Tyrrell: Neben dem Tätowieren und Musikmachen ist das Zeichnen für mich eine grosse Leidenschaft und es hält mich kreativ.

Wie stellst du dir die Tattoo-Welt in den nächsten zehn Jahren vor?

Bob Tyrrell: Ich denke, sie wird noch weiter „verwässert“ sein und noch mehr Mainstream werden. Es wird zu viele Conventions geben. Aber es wird auch viele grossartige Tattoos geben!

An welchen Projekten arbeitest du derzeit und worauf können wir uns in Zukunft von dir freuen?

Bob Tyrrell: Ich tätowiere weiterhin und zeichne Monster-Motive. Ich möchte weitere Kunstdrucke herstellen und verkaufen, ausserdem möchte ich meinen Merch-Store aufbauen. Momentan arbeite ich an Shirts, die bald erhältlich sein werden. Ich möchte T-Shirts, Hoodies, Kaffeetassen, Kunstdrucke und meine DVDs verkaufen. Alles wird auf meiner Website bobtyrrell.com zu finden sein. Mein Instagram ist @bobtyrrell.

Vielen Dank, Bob, für das inspirierende Gespräch. Deine Arbeiten sind nicht nur beeindruckend, sondern auch eine Quelle der Inspiration für die globale Tattoo-Szene.

Mehr Infos über Bob Tyrrells zukünftige Projekte findest du unter bobtyrrell.com.

R. I. P. Jack Rudy

Jack Rudy gehört zu den bedeutendsten Persönlichkeiten in der modernen Tattoo-Geschichte. Als Pionier des Black-and-Grey-Stils und der revolutionären Single-Needle-Technik hat er die Kunst des Tätowierens nachhaltig verändert. Mit seiner Leidenschaft für Präzision und künstlerische Perfektion verwandelte er Tattoos in eine detailreiche und anerkannte Kunstform.

Von der Chicano-Kunst zu Good Time Charlie’s Tattooland

Rudy begann seine Karriere in den 1970er-Jahren in Kalifornien. Er liess sich von der Chicano- und Gefängnis-Tattoo-Kultur inspirieren, die mit einfachsten Mitteln aussergewöhnliche Tattoo-Techniken hervorgebracht hat. Diese brachte er in die Mainstream-Tattoo-Szene und verhalf ihnen zu neuer Anerkennung.

Gemeinsam mit Charlie Cartwright gründete Rudy das legendäre Studio „Good Time Charlie’s Tattooland“ in East Los Angeles. Dieser Ort wurde zur Geburtsstätte des modernen Black-and-Grey-Tattoos und hat die internationale Tattooszene bis heute geprägt.

Meister der Single-Needle-Technik

Jack Rudy perfektionierte die Single-Needle-Technik, um feinste Linien und realistische Details in Tätowierungen umzusetzen. Diese revolutionäre Methode machte ihn schnell zu einem gefragten Künstler, insbesondere für Porträts und realistische Motive. Heute ist diese Technik ein globaler Standard und wird von Tattoo-Studios weltweit genutzt.

Black-and-Grey – Ein weltweiter Stil

Dank Jack Rudy und seiner Mitstreiter/innen wurde der Black-and-Grey-Stil zu einem Markenzeichen der modernen Tattoo-Kunst. Ob Porträts, religiöse Symbole oder detailreiche Illustrationen – dieser Stil verkörpertzeitlose Eleganz und Präzision. Rudys Pionierarbeit legte den Grundstein für einen der populärsten Stile der heutigen Tattooszene.

Vermächtnis und Einfluss

Jack Rudy war nicht nur ein grossartiger Künstler, sondern auch ein inspirierender Lehrer und Mentor. Viele der besten Tätowierer/innen unserer Zeit wurden von seiner Arbeit geprägt oder direkt von ihm unterrichtet. Sein Engagement für künstlerische Integrität und technische Perfektion hat Generationen von Künstler/innen inspiriert und die Kunst des Tätowierens auf ein neues Niveau gehoben.

Abschied einer Legende

Jack Rudy ist und bleibt eine wahre Legende der Tattoo-Welt und sein Vermächtnis wird die Szene für immer prägen. Seine Werke, Techniken und seine Leidenschaft für die Tattoo-Kunst werden weiterhin Generationen von Künstler/innen und Tattoo-Liebhabern inspirieren.

Das Team von tattoo.ch verneigt sich vor einem Künstler, der die Tattoo-Kunst revolutioniert und ihre Möglichkeiten neu definiert hat.

Tattoo-Kunst in der Schweiz: Zwischen Meisterwerk und Grauzone

Tätowierungen sind in der Schweiz längst mehr als blosse Körperverzierungen. Sie sind Kunstwerke, die Geschichten erzählen und die Persönlichkeit eines Menschen ausdrücken. Doch hinter der kreativen Blüte der Schweizer Tattoo-Szene verbirgt sich eine dunkle Seite: Heimtattoos – Tätowierungen, die von Privatpersonen ausserhalb professioneller Bedingungen und Räumlichkeiten angeboten werden.

Was auf den ersten Blick wie eine preiswerte Alternative wirkt, entpuppt sich als gravierende Gefahr. Nicht nur die Gesundheit der Kundschaft steht auf dem Spiel – auch professionelle Studios kämpfen ums Überleben, da sie dem Preisdruck durch illegale Anbieter kaum standhalten können.

Das Problem „Black and Grey“

In der Tattooszene steht „Black and Grey“ eigentlich für einen bekannten Tattoo-Stil, der für seine kunstvollen Schattierungen geschätzt wird. Doch heute symbolisiert der Begriff auch die Schattenseiten der Branche: Schwarzarbeit, rechtliche Grauzonen und mangelnde Hygiene.

Heimtattoos, die oft in privaten Wohnzimmern, Küchen oder Hobbyräumen entstehen, umgehen nicht nur die gesetzlichen Meldepflichten, sondern auch essenzielle Standards wie Hygienevorschriften, Sozialabgaben und Steuerpflichten.

Das Ergebnis? Ein ruinöser Preiskampf. Während professionelle Studios hohe Investitionen in Ausbildung, Sterilität und hochwertige Geräte tätigen, umgehen Heimtattoo-Anbieter all diese Kosten – und können ihre Dienstleistungen entsprechend zu Dumpingpreisen anbieten.

„Wir arbeiten seit 15 Jahren nach höchsten Standards, investieren in Hygiene, Nachsorge und hochwertige Ausrüstung. Doch die Dumpingpreise der Heimtattoo-Anbieter bringen uns zunehmend in Existenznöte“, erklärt eine Tätowiererin eines bekannten Schweizer Studios, die anonym bleiben möchte.

Schweizer Meldepflicht: Theorie und Realität

Seit dem 1. Mai 2017 gilt in der Schweiz eine gesetzliche Meldepflicht für alle, die Tätowierungen anbieten. Nach einer einjährigen Übergangsfrist wurde diese Regelung ab dem 1. Mai 2018 vollständig verbindlich. Ihr Ziel ist es, Hygiene- und Sicherheitsstandards in der Branche zu gewährleisten:

Wer ist meldepflichtig?

  • Alle Betriebe (bzw. Personen), die gewerbsmässig Tattoos anbieten, müssen sich bei der kantonalen Vollzugsbehörde melden.
  • „Gewerbsmässig“ bedeutet, dass die Dienstleistung angeboten wird, um ein Entgelt oder Einkommen zu erzielen. Auch neben- oder halbberufliche Heimtätowierer/innen fallen darunter.

Wozu dient die Meldung?

  • Damit die kantonalen Behörden überhaupt wissen, wo solche Angebote stattfinden, und ihre Kontrollaufgaben (Stichproben, Hygiene-/Produktkontrollen) erfüllen können.
  • Gemäss Weisung 2018/2 wird erwartet, dass Kontrollen eine gewisse „Frequenz“ haben, wenn der Betrieb gemeldet ist. Unangemeldete (illegale) Home-Studios entziehen sich so leicht den Kontrollen.

Rechtsfolge bei Nichteinhaltung

  • Wer sich nicht meldet, begeht eine Widerhandlung gegen das Lebensmittelrecht (Art. 30 LMG: Strafen bei Übertretung). Die kantonalen Behörden können verwarnen oder Sanktionen verhängen, falls ein Betrieb ohne Meldung angetroffen wird.

Doch in der Praxis zeigt sich ein komplett anderes Bild:

  • Viele Heimtattoo-Anbieter melden sich gar nicht an und entziehen sich so den vorgeschriebenen Kontrollen.
  • Eine öffentlich zugängliche Liste registrierter Studios, die sich an die schweizerische Meldepflicht halten, fehlt – und mit ihr eine wertvolle Orientierungshilfe für Kund/innen.
  • Den Behörden fehlen oft die notwendigen Ressourcen, um die Vielzahl unangemeldeter (illegaler) Home-Studios effektiv zu überprüfen. Besonders absurd: Die zuständigen Vollzugsbehörden, wie beispielsweise das kantonale Labor, dürfen angeblich nicht einmal eigene Ermittlungen oder Nachforschungen durchführen, um Home-Tätowierer/innen aufzuspüren und zu kontrollieren.

Heimtattoos: Ein Gesetzesbruch, der unter die Haut geht

Ein Tattoo ist mehr als nur ein Kunstwerk – es ist ein Eingriff in den Körper. Deshalb gibt es in der Schweiz strenge Hygienegesetze, welche die Gesundheit der Kund/innen schützen sollen. Doch diese Vorschriften werden bei Heimtattoos, die in Wohnzimmern, Küchen oder Hobbyräumen entstehen, oft ignoriert. Schon die unzureichenden räumlichen Bedingungen machen Heimtattoos zu einem klaren Gesetzesbruch.

Gesetzliche Vorgaben schützen deine Gesundheit

Professionelle Tattoo-Studios in der Schweiz unterliegen strengen Hygiene- und Sicherheitsanforderungen. Diese Vorgaben basieren auf der Verordnung über Gegenstände für den Humankontakt (HKV), dem Lebensmittelgesetz (LMG) und der Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV). Zu den wichtigsten Regelungen gehören:

  • Sterile Instrumente: Nadeln und Geräte, die in die Haut eindringen, müssen sterile Einwegprodukte sein oder durch validierte Verfahren wie Autoklaven sterilisiert werden.
  • Hygienische Räumlichkeiten: Böden, Wände und Oberflächen müssen leicht zu reinigen und desinfizierbar sein. Kontaminationen während der Arbeit sind zu vermeiden.
  • Separate Arbeitsräume: Tätowierbereiche müssen vom Kunden- und Empfangsbereich getrennt sein und über Handwaschgelegenheiten, Einweghandtücher und geeignete Desinfektionsmittel verfügen.
  • Selbstkontrollpflicht: Studios sind gesetzlich verpflichtet, ihre Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass keine Gesundheitsrisiken entstehen.

Warum Heimtattoos die Standards niemals erfüllen können?

Im Gegensatz zu professionellen Tattoo-Studios entstehen Heimtattoos in hygienisch völlig unzureichenden Umgebungen wie Wohnzimmern, Küchen oder Hobbyräumen. Die Unterschiede könnten kaum drastischer sein.

Hier ein Blick auf die häufigsten Missstände:

  • Fehlende Sterilität und Desinfektion: In Heimtattoo-Umgebungen werden häufig unsterile Nadeln verwendet und grundlegende Desinfektionsmassnahmen fehlen vollständig. Farben stammen oft aus unbekannten Quellen, die keinerlei Qualitätskontrolle unterliegen – ein erhebliches Risiko für die Gesundheit. Materialien sind dabei auf möglichst niedrige Kosten im Einkauf ausgerichtet, was schwere allergische Reaktionen oder Infektionen verursachen kann.
  • Ungeeignete Räumlichkeiten: Tätowierungen werden auf verstaubten Sofas oder Küchenstühlen gestochen, während Teppiche und Haustiere in der Nähe einen idealen Nährboden für Keime und Bakterien schaffen.

Die gesetzlichen Vorgaben für professionelle Tattoo-Studios sind nicht nur Vorschriften – sie sind essenziell, um die Gesundheit der Kund/innen zu schützen und die Qualität der Arbeit sicherzustellen. Heimtattoo-Anbieter hingegen ignorieren diese Standards konsequent und setzen nicht nur dich, sondern auch sich selbst erheblichen Risiken aus. Wer sich für ein Tattoo entscheidet, sollte sich bewusst machen: Hygiene und Professionalität sind keine Optionen, sondern ein Muss.

Ungleicher Wettbewerb – Schwarzarbeit gefährdet die Branche

Während professionelle Studios registriert sind, Steuern zahlen und in teure Geräte investieren, profitieren Heimtattoo-Anbieter von ihrem illegalen Status. Sie bieten Dienstleistungen zu Dumpingpreisen an – auf Kosten von Qualität und Sicherheit.

Was muss sich ändern?

Um die Qualität und Sicherheit in der Schweizer Tattoobranche zu gewährleisten, braucht es konkrete Massnahmen:

  • Strengere Kontrollen: Behörden müssen mit mehr Ressourcen ausgestattet werden, um auch private Anbieter effektiv zu überprüfen.
  • Transparenz: Eine öffentlich zugängliche Liste registrierter Studios, die sich an die gesetzliche Meldepflicht halten, wäre ein grosser Schritt in Richtung Verbraucherschutz.
  • Aufklärung: Kund/innen müssen über die Risiken von Heimtattoos und die Vorteile seriöser Tattoo-Studios informiert werden.

Ein Appell an Tattoo-Fans

Eine Tätowierung bleibt ein Leben lang – spare deshalb nicht an der falschen Stelle, vor allem nicht bei der Hygiene. Achte auf professionelle Abläufe und stelle Fragen zur Seriosität des Tätowierenden. Lass dir eine Quittung für dein Tattoo geben – sie zeigt, dass das Studio seriös arbeitet, Steuern zahlt und dir rechtliche Sicherheit bietet, falls es zu Komplikationen kommt.

Fordere Nachweise oder Zertifikate, die belegen, dass grundlegende Standards eingehalten werden. Frage nach einer kantonalen Meldebestätigung, Hygieneschulungen oder weiteren Qualifikationen, die auf eine fundierte Ausbildung hinweisen. Denn wer in seine Ausbildung investiert, zeigt Verantwortung – und schützt deine Gesundheit.

Ein vermeintlich günstiges Tattoo aus dem Wohnzimmer kann schnell zum Albtraum werden. Die Schweizer Tattoo-Szene steht an einem Scheideweg. Um die Branche zu schützen, braucht es Engagement von Behörden, Tätowierer/innen und Kund/innen gleichermassen.

Nur mit Transparenz und gegenseitigem Verantwortungsbewusstsein kann die Zukunft der Schweizer Tattoo-Kunst gesichert und das Problem „Black and Grey“ effektiv bekämpft – oder, um es im Stil der Szene zu sagen, professionell gecovert – werden.

Miki Vialetto: Ein Visionär der Tattoo-Welt – Exklusives Interview

In der Tattoo-Szene gibt es nur wenige Namen, die so einflussreich und prägend sind wie Miki Vialetto. Als Gründer der legendären London Tattoo Convention – der wohl renommiertesten und aus Künstlerperspektive am meisten respektierten Tattoo-Veranstaltung weltweit – hat er Geschichte geschrieben. Doch Miki ist weit mehr als nur ein Event-Pionier: Als Publisher und Editorial Director von Tattoo Life, einem der angesehensten Magazine der Branche, prägt er die Tattoo-Kultur auf globaler Ebene.

Mit unermüdlicher Hingabe und einer tiefen Leidenschaft für die Kunst des Tätowierens hat Miki nicht nur dazu beigetragen, Tätowierungen als anerkannte Kunstform zu etablieren, sondern auch die weltweite Tattoo-Community miteinander verbunden und inspiriert.

Doch wie begann seine Reise? Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Tattoo-Welt zum Positiven – und auch zum Negativen – verändert?

Im exklusiven Interview mit tattoo.ch gewährt Miki Vialetto faszinierende Einblicke in seine Anfänge, teilt seine Perspektive auf den heutigen Markt und spricht über seine Vision für die Zukunft der Branche:

Die Anfänge

Hi Miki, wie begann deine Reise in der Tattoo-Welt und was hat dich ursprünglich dazu inspiriert, in diese Branche einzusteigen?

Miki: Meine Liebe zu Tattoos begann, als ich etwa 13 Jahre alt war. Damals habe ich meinen Vater oft gebeten, mir Pin-up-Girls oder Totenköpfe auf die Haut zu malen. Mein Lieblingsspielzeug war Dr. Steel, der Gegenspieler von Big Jim, weil er einen grossen Drachen auf der Brust tätowiert hatte.

Mit 17 Jahren liess ich mich zum ersten Mal tätowieren – bei Gian Maurizio Fercioni in Mailand, dem „Godfather“ des italienischen Tattooing. Der Moment, als ich sein Studio betrat, war magisch. Ich war sofort fasziniert von der geheimnisvollen Welt, die sich mir dort offenbarte. Danach liess ich mir viele weitere Tattoos stechen und verbrachte jeden freien Samstag in seinem Studio, um den Geschichten zu lauschen, welche er seinen Kunden erzählte.

1993, im Alter von 22 Jahren, arbeitete ich mit einem Mailänder Verlag zusammen, der ein kostenloses Magazin namens IN TOWN herausbrachte. Es drehte sich um Clubs und Diskotheken, enthielt aber hin und wieder vier Seiten über Body Art. Eines Tages fragte ich, ob sie an Artikeln über Biker und Tattoos interessiert wären. Eigentlich wollte ich mir nur etwas Spritgeld für Bikertreffen dazuverdienen. Doch ihnen gefielen meine Texte und so schlug ich vor, gleich ein eigenes Tattoo-Magazin zu starten.

Damals gab es in Europa nichts Vergleichbares und um an amerikanische Tattoo-Magazine zu kommen, musste ich bis in die Schweiz reisen. 1993 veröffentlichten wir schliesslich Tattoo Revue – das erste europäische Tattoo-Magazin. Zwei Jahre später waren wir in ganz Europa in fünf Sprachen vertreten und expandierten in die USA unter dem Namen Tattoo Planet.

Nach sieben Jahren war für mich der Moment gekommen, meinen eigenen Weg zu gehen. Im Jahr 2000 gründete ich meine eigene Verlagsfirma und startete Tattoo Life. Dieses Jahr feiern wir den 25. Jahrestag meines Engagements im Tattoo-Publishing – ein Meilenstein, auf den ich sehr stolz bin.

Wie ist die Idee zur London Tattoo Convention entstanden und vor welchen Herausforderungen standest du bei der Umsetzung?

Miki: Bevor ich die London Tattoo Convention ins Leben rief, war ich zehn Jahre lang künstlerischer Leiter der Mailand Tattoo Convention. Doch irgendwann wollte ich ein Projekt, das ich zu 100 % selbst gestalten konnte, um meine eigene Vision uneingeschränkt umzusetzen. Gemeinsam mit meinem Geschäftspartner Marcus Berrimann entschieden wir, dass London die wohl bedeutendste Stadt Europas für ein solches Event sei – und so wurde die London Tattoo Convention ins Leben gerufen.

Mein Ziel war es, jedem einzelnen Besucher zu zeigen, auf welch hohem Niveau das weltweite Tattooing steht – und das nicht nur durch die Tattoos selbst, sondern auch durch die vielfältigen Kunstformen, die von Tattoo-Künstler/innen geschaffen werden.

Obwohl heute die Gods of Ink Convention in Frankfurt den Platz der London Tattoo Convention eingenommen hat, bleibt die Erinnerung an die „echte“ London Tattoo Convention für Tausende von Tätowierer/innen und Tattoo-Liebhaber/innen unvergesslich.

Ich habe die London Tattoo Convention aus zwei zentralen Gründen beendet: Erstens, verstarb mein guter Freund und Geschäftspartner Marcus Berrimann, was einen tiefen Einschnitt bedeutete. Zweitens, wurde es nach zwei Jahren der Covid-Pandemie äusserst schwierig, die Organisation der Veranstaltung in ihrer ursprünglichen Form fortzusetzen.

Veränderungen in der Tattoo-Branche

Welche positiven Entwicklungen hast du über die Jahrzehnte in der Tattoo-Szene beobachtet?

Miki: Eine der grössten positiven Entwicklungen ist sicherlich, dass immer mehr talentierte Künstler/innen den Weg in die Tattoo-Branche finden. Das technische und künstlerische Niveau ist heute unglaublich hoch – nicht zuletzt dank der Fortschritte bei professionellem Tattoo-Equipment. Bis etwa 2005 war es üblich, dass Tätowierer/innen ihre Maschinen selbst zusammenbauten. Heute arbeiten Ingenieurteams in den Supply-Firmen kontinuierlich an innovativen Lösungen – ein Fortschritt, welcher die Branche nachhaltig geprägt hat.

Gibt es Entwicklungen, die du eher kritisch siehst?

Miki: Leider war die Tattoo-Welt noch nie so stark von Unwahrheiten geprägt wie heute. In den sozialen Medien wird viel mit Photoshop, Filtern und Retuschen gearbeitet, sodass es für Laien oft schwer ist, die echte Qualität eines Tattoos zu erkennen.

Zudem achten viele jüngere Tätowierer/innen bei der Gestaltung weniger darauf, wie das Tattoo in fünf oder zehn Jahren aussehen wird. Der Fokus liegt häufig allein darauf, wie es auf Social Media wirkt und ankommt.

Ein weiterer kritischer Punkt ist das zunehmende egozentrische Verhalten mancher Tätowierer/innen.Don Ed Hardy schrieb in den 70er-Jahren auf seine Visitenkarte: „Wear your dreams“, was die Idee widerspiegelte, Tattoos als Ausdruck der Träume und Wünsche der Kunden zu gestalten. Heute könnte es bei vielen heissen: „Wear my ego“, da der Fokus oft mehr auf die Selbstdarstellung der Künstler/innen gerichtet ist, statt auf die persönlichen Geschichten oder Bedürfnisse der Kunden.

Ein Thema, das mich immer wieder schockiert, ist der Einsatz von Anästhesie. Es ist eine Sache, anästhesierende Cremes zu verwenden, aber mittlerweile wünschen sich manche Menschen sogar lokale Betäubungen oder gar Vollnarkosen für ihre Tattoos. Für mich ist das völlig absurd und widerspricht der ursprünglichen Essenz des Tätowierens.

Welche Rolle spielen Tattoo-Conventions heute angesichts der Digitalisierung und der sozialen Medien?

Miki: Soziale Medien sind fantastisch, um ein Event wie die Gods of Ink zu bewerben und Live-Eindrücke in Echtzeit zu teilen. Genau deshalb veröffentliche ich in meinem Magazin auch keine klassischen Nachberichte von Conventions mehr. Später über ein Event zu berichten, das die Leute online schon längst live verfolgt haben, macht für mich einfach keinen Sinn.

Tradition und Innovation

Warum ist es dir ein Anliegen, traditionelle Techniken wie Irezumi oder Tatau zu bewahren?

Miki: Die Technologie eröffnet uns grossartige Möglichkeiten, wie etwa digitale Zeichnungen oder kunstvolle Kreationen mit digitalen Werkzeugen. Doch nichts kann die Schönheit eines Originalgemäldes ersetzen, das mit Pinsel und Ölfarbe geschaffen wurde. Ähnlich verhält es sich mit traditionellen Tattoo-Techniken: Sie erzeugen ein völlig anderes Ergebnis als moderne Maschinen. Sie sind das „echte Ding“ und stehen für eine authentische Liebe zu diesen Kulturen und ihrem historischen Erbe.

Inwiefern haben moderne Technologien (z.B. neue Tätowiermaschinen oder Inks) die Tattoo-Kunst verändert und was sind für dich die grössten Fortschritte?

Miki: Vor dem Aufkommen der Cheyenne-Maschinen war der Umgang mit Coil-Maschinen eine echte Herausforderung. Es erforderte ein tiefes Fachwissen, um die Maschinen richtig einzustellen und dabei die Haut weder zu verletzen noch Narben zu verursachen.

Cheyenne revolutionierte die Branche, indem sie als erste Firma Ingenieur/innen einsetzten, um eine Maschine zu entwickeln, die so benutzerfreundlich war, dass sie theoretisch sogar von einem Kind bedient werden konnte, ohne die Haut zu schädigen. Diese Innovation veränderte alles – plötzlich strömten Abertausende Neueinsteiger in die Branche – viele von ihnen durchliefen nicht mehr den traditionellen Weg des Tätowierens, sondern erlernten die Kunst mithilfe von Apps und Tutorials im Internet.

Das ist vergleichbar mit der Musik: Früher war es eine viel grössere Herausforderung, Gitarre zu lernen. Dank Apps und Tutorials ist es heute jedoch einfacher denn je, den Einstieg zu meistern.

Die Zukunft der Tattoo-Szene

Findest du, Tattoos seien heute zu sehr kommerzialisiert, oder ist das ein natürlicher Teil ihrer Entwicklung?

Miki: Die ganze Welt ist kommerzieller geworden und das spiegelt sich auch in der Tattoo-Branche wider. Ich erinnere mich an die Worte von Tattoo Berit aus Berlin, einer fantastischen Künstlerin mit einem unverwechselbaren Stil, die ich 1996 hörte. Sie sagte sinngemäss: „Wenn du als unbekannte/r Maler/in arbeitest, verkaufst du deine Werke meist an Menschen, die sich mit Kunst auskennen – und das macht es unglaublich schwierig, davon zu leben. Beim Tätowieren ist es anders: Deine Kund/innen sind oft keine Kunstexperten. Selbst wenn das Tattoo nicht revolutionär ist, sind sie begeistert und du kannst damit einfacher deinen Lebensunterhalt verdienen.“

Heute sehe ich im Fitnessstudio oder am Strand gefühlt 90 Prozent Tattoos, die technisch nicht gerade gut sind – und das trotz der enormen Zahl an talentierten Tätowierer/innen. Doch die Menge an schlechten Tattoos ist um ein Vielfaches höher.

Vor 30 Jahren ging es nur wenigen darum, ernsthaft Geld mit Tattoos zu verdienen. Heutzutage sind viele in der Branche tätig, die selbst wenig mit Tattoos verbindet – Hauptsache, es bringt Profit.

Welche Entwicklungen würdest du dir für die Zukunft der Tattoo-Kunst wünschen?

Miki: Ich wünsche mir mehr Ethik – auf allen Ebenen. Sei es der Verzicht darauf, Teenagern das Gesicht zu tätowieren, oder ein bewussterer Umgang mit bearbeiteten Bildern auf Social Media. Weniger Filter, mehr Echtheit – das wäre wirklich schön.

Was braucht es deiner Meinung nach, um im heutigen globalen Tattoo-Markt wirklich herauszustechen?

Miki: Technisch gesehen hat das Niveau heute ein beeindruckendes Level erreicht, doch vieles wirkt leider eintönig. Viele kopieren einfach die Arbeiten anderer Künstler/innen. Mich beeindruckt es viel mehr, wenn jemand nach dem Erlernen der Technik wirklich etwas Eigenes erschafft, anstatt nur zu reproduzieren. Inspiration zu finden und diesen Input auf eine ganz persönliche Weise umzusetzen – nur so entsteht etwas wirklich Originelles.

Persönliche Einblicke

Was bedeuten Tattoos für dich persönlich? Hast du ein Tattoo mit einer ganz besonderen Geschichte?

Miki: Für mich haben Tattoos immer etwas mit Stärke zu tun. Mein ganzer Körper ist tätowiert – mit Ausnahme von Gesicht, Händen und Genitalien. Jedes Motiv, ob klein oder gross, trägt eine besondere Bedeutung. Vom winzigsten Detail bis hin zu den zusammenhängenden Kunstwerken, die meinen gesamten Rücken und meine Beine schmücken, erzählt jedes Tattoo eine Geschichte. Ich habe mir immer genau überlegt, welche Botschaft ein Tattoo transportieren soll und wie das Design gestaltet sein muss, um dieser gerecht zu werden.

Was war der stolzeste Moment deiner Karriere?

Miki: Ganz sicher der Moment, als mich Felix Leu, der Vater von Filip Leu, zu Beginn meiner Laufbahn unter seine Fittiche nahm. Er hat mir nahezu alles beigebracht, was ich über Tattoos und die damit verbundene Ethik weiss – ich verdanke ihm unendlich viel. Es war die härteste Schule meines Lebens, doch seine Lehren waren von unschätzbarem Wert.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich ihm im Jahr 2000 mein erstes Tattoo-Buch Flash – The Art of the Mark zeigte. Sein Stolz auf mich war spürbar und das erfüllte mich wiederum mit grossem Stolz und tiefer Freude.

Wenn du auf deinen gesamten Werdegang zurückblickst: Gibt es etwas, das du anders gemacht hättest?

Miki: Nicht wirklich. Ich bin heute genau da, wo ich sein möchte, weil ich meinen Weg genauso gegangen bin, wie ich es getan habe – ohne Reue.

Welche Pläne hast du für die Zukunft?

Miki: Ich möchte weiterhin Menschen aufklären und die „wahre“ Tattoo-Welt fördern, auch wenn das immer schwieriger wird. Heute setzen sich oft Leute auf den „Lehrstuhl“, die selbst kaum etwas wissen. Ich bin der Meinung: Bevor man andere unterrichtet, sollte man selbst lange und intensiv gelernt haben.

Ausserdem fällt mir auf, dass viele Tattoo-Conventions oder Seminare von Menschen organisiert werden, die kaum über echtes Hintergrundwissen verfügen. Anstatt andere zu lehren, sollten sie sich lieber selbst weiterbilden. Aber wir leben in einer Zeit, in der es oft reicht, einfach zu behaupten: „Ich bin gut, ich weiss alles.“ Und leider glauben viele das auch.

Ein kleiner Trost ist für mich ein Satz, den ich in den 90er-Jahren von Tin-Tin gelernt habe: „Am Ende bekommt jeder das Tattoo, das er verdient.“

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch, Miki!

Wir danken Miki Vialetto herzlich für seine offenen Worte und die spannenden Einblicke in seine Arbeit und die Tattoo-Welt. Wer mehr über seine Projekte und Visionen erfahren möchte, sollte unbedingt einen Blick in Tattoo Life werfen und die kommenden Events wie Gods of Ink nicht verpassen.