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Tattoo-Trend

Meister zwischen Fantasie und Realität – exklusives Interview

Publiziert: 04.03.2025, 11:07
Ein faszinierender Einblick in das Schaffen eines der berühmtesten Tattoo-Künstler unserer Zeit. Wenn du an Tattoo-Kunst auf allerhöchstem Niveau denkst, kommst du an Boris nicht vorbei. Geboren 1972 in Zalaegerszeg (Ungarn), hat er 1992 angefangen zu tätowieren – in einer Zeit, in der Tattoos längst nicht so anerkannt waren wie heute. Trotzdem hat er sich unerschrocken ins Abenteuer gestürzt und sich mit seinem unbändigen Willen, kombiniert mit Talent und Experimentierfreude, in die internationale Spitze katapultiert.

Was Boris so einzigartig macht, ist sein Mix aus Fantasie und Realismus, den er mit einer seltenen Kombination aus künstlerischem Gespür und technischer Präzision in Szene setzt. Ob du nun auf Black-and-Grey-Tattoos mit atmosphärischen Schattierungen stehst oder farbenfrohe Motive bevorzugst – Boris beherrscht beides auf absolutem Top-Niveau! Seine detailgetreuen Porträts, fantastischen Fabelwesen und surrealen Traumlandschaften spiegeln eindrucksvoll wider, wie er die Grenze zwischen Vorstellung und Wirklichkeit immer wieder neu auslotet.

Neben seinen Tätowierkünsten ist Boris auch in der Entwicklung von Tattoo-Produkten aktiv. Er reist rund um den Globus, um auf Conventions und Konferenzen sein Wissen zu teilen und sich selbst stets weiterzuentwickeln. Als einer der ersten Tätowierer, die sich für den Einsatz moderner Technologien wie das modulare Nadel-System stark machten, hat Boris die Branche nicht nur mitgestaltet, sondern auch mit innovativen Ideen vorangetrieben. Seine Offenheit für neue Technologien sowie seine Hingabe an die klassische Tattoo-Kunst machen ihn zu einem Vorreiter in der Branche.

Im exklusiven Interview mit tattoo.ch gibt uns Boris Einblicke in seine frühen Jahre, seine Inspirationsquellen, seine Sicht auf die Tattoo-Industrie und seine Gedanken zur Zukunft der Kunst des Tätowierens.

Anfänge & Inspiration

Hi Boris, was hat dich ursprünglich dazu inspiriert, mit dem Tätowieren zu beginnen?

Ich bin in Ungarn unter dem kommunistischen Regime aufgewachsen. Mein erstes Tattoo bekam ich 1992 mit 20 Jahren – damals war Tätowieren noch reine Underground-Kultur. Die ersten Tattoo-Studios in Ungarn entstanden erst 1989 oder 1990 und es gab vielleicht nur zwei oder drei im ganzen Land. Sie wurden jedoch sofort sehr beliebt, da sie ein Symbol der Freiheit in einer Zeit des Wandels darstellten. Vorher gab es nur handgestochene Tattoos, die meist in Gefängnissen entstanden. Im Vergleich dazu hatten die Arbeiten aus professionellen Studios einen ganz anderen künstlerischen Wert – das hat mich fasziniert.

Wie sah die Tattoo-Szene in Ungarn aus, als du deine Karriere begonnen hast?

Als ich 1992 anfing, gab es nur eine Handvoll Studios. Bis 1994-95 nahm ihre Zahl jedoch deutlich zu. Die Tätowierer/innen der ersten Generation kannten sich alle und hielten zusammen. Wir waren überzeugt, dass modernes Tätowieren auf ein künstlerisches Niveau gehoben werden kann. Unser Ziel war es, die Kunstform bekannt zu machen und gesellschaftlich zu etablieren. In Ungarn war das damals eine grosse Herausforderung – Tattoos waren nicht akzeptiert und wurden eher als Randgruppen-Phänomen wahrgenommen. Sie waren vor allem in Biker- und Rocker-Kreisen sowie bei westlichen Touristen populär. Aber wir begannen, uns zu vernetzen und den Wandel voranzutreiben.

Gab es bestimmte Künstler/innen oder Ereignisse, die deinen Stil besonders beeinflusst haben?

Es war eher ein schrittweiser Prozess als eine bestimmte Person oder ein Event. Damals musste ein Tattoo Artist vielseitig sein. Der Markt war klein und es gab kaum Möglichkeiten zur Spezialisierung. Dennoch entwickelten wir durch die steigende Nachfrage und unser eigenes Interesse eine Vorliebe für Fantasy und Realismus. Interessanterweise wurde dieser Stil in der westlichen Tattoo-Kultur anfangs nicht akzeptiert. Seine Langlebigkeit wurde infrage gestellt. Doch die Zeit hat uns recht gegeben – heute ist Realismus fester Bestandteil der Tattoo-Kunst.

Stil & Technik

Deine Arbeiten sind für ihre Präzision und Kreativität bekannt. Wie entwickelst du deine Designs und was inspiriert dich?

Über die Jahre habe ich mich daran gewöhnt, dass meine Kunden mit einer Idee zu mir kommen und darauf vertrauen, dass ich sie kreativ umsetze. Für mich war Tätowieren nie ein Mittel zur Selbstverwirklichung – es ist der Ausdruck der Person, welche das Tattoo trägt. Menschen lassen sich wichtige Momente ihres Lebens auf der Haut verewigen. Meine Inspiration ziehe ich aus meiner Umwelt – sei es die Zivilisation, die Natur oder das Universum. Ich denke oft darüber nach, dass wir selbst ein Teil des Universums sind und all seinen Einflüssen unterliegen.

Welche Techniken, Werkzeuge und Materialien bevorzugst du und wie haben sie sich im Laufe deiner Karriere entwickelt?

Die ersten 15 Jahre meiner Karriere war ich extrem experimentierfreudig. Ich wollte jede neue Maschine und jede neue Farbe ausprobieren. Ich habe viel gemalt, gezeichnet, modelliert und fotografiert. In dieser Zeit fand die Digitalisierung ihren Weg in die Tattoo-Branche. Photoshop wurde ein wichtiges Tool für das Design – mit wenig Aufwand konnte man beeindruckende Entwürfe erstellen. Die zweite Hälfte meiner Karriere konzentrierte ich mich darauf, mit den bewährten Werkzeugen zu arbeiten. Ich war übrigens der erste gesponserte Künstler von Cheyenne und spielte eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung des damals noch umstrittenen Nadelmodul-Systems.

Hast du Lieblingsthemen oder Motive, die du besonders gerne tätowierst?

Mein Motto war immer „Varietas Delectat“ – Vielfalt erfreut. Ich liebe es, in Symbiose mit meinen Kunden zu arbeiten. Ihre Wünsche inspirieren mich. Ich möchte ihnen nichts aufzwingen, sondern ihre Vorstellungen mit meiner Kunst verbinden.

Entwicklung der Tattoo-Industrie

Wie hast du die Entwicklung der Tattoo-Branche über die Jahre erlebt? Gab es positive und negative Aspekte?

Ich habe die eigentliche „Tattoo-Renaissance“ während meiner Karriere miterlebt. Die steigende Akzeptanz, neue Trends und technische Entwicklungen waren beeindruckend. Doch mit der wachsenden Beliebtheit kam auch die Kommerzialisierung. Während es heute mehr grossartige Tätowierer gibt als je zuvor, gibt es auch viele, die Tattoos nur als Geschäft sehen. Qualität und Ethik leiden oft darunter.

Welche Trends beobachtest du aktuell?

Ich habe mich bewusst von Trends distanziert. Ab einem bestimmten Punkt wollte ich mich nicht mehr von Tattoo-Magazinen beeinflussen lassen. Ich habe festgestellt, dass die meisten meiner Kunden zwischen 30 und 40 Jahre alt sind – sie haben sich früh tätowieren lassen, kennen die Szene inzwischen gut und investieren gezielt in Qualität. Da ich mittlerweile 20 Jahre älter bin als diese Generation, sind ihre kulturellen und künstlerischen Einflüsse oft völlig andere als meine.

Was hältst du von der zunehmenden Digitalisierung in der Tattoo-Welt?

Digitale Techniken sind weder gut noch schlecht – es kommt darauf an, wie man sie nutzt. Künstliche Intelligenz ist ein kontroverses Thema. Wenn ich jedoch ein perfektes Bild vom Unterbauch eines Elefanten brauche, kann ich nicht einfach im Internet danach suchen – hier kann KI eine Lösung sein. Dennoch müssen Künstler/innen ein tiefes Verständnis für Bildgestaltung haben, um wirklich Kunst zu schaffen.

Persönliche Einblicke & Zukunftspläne

Wie bleibst du kreativ und motiviert?

Als ich international bekannt wurde, arbeitete ich 10 Jahre lang extrem hart. Meine Warteliste war zwei Jahre lang, ich tätowierte fünf Tage die Woche und plante nachts. Das führte mit 35 zu gesundheitlichen Problemen. Seitdem setze ich auf mehr Ausgleich – ich verbringe mehr Zeit mit meiner Familie, treibe täglich Sport, ernähre mich gesund und rauche nicht mehr. Das hält mich motiviert.

Welche Projekte stehen bei dir aktuell an?

Derzeit konzentriere ich mich auf mein Studio und geniesse den Alltag. Ausserdem habe ich mein Wissen auf tattooingatoz.com gesammelt – einer Plattform für aufstrebende Tätowierer/innen – und arbeite an mehreren Projekten gleichzeitig.

Wie siehst du die Zukunft der Tattoo-Kunst?

Die Branche wird immer facettenreicher. Neue Stile entstehen, traditionelle Techniken erleben ein Comeback und die technischen Möglichkeiten entwickeln sich rasant weiter. Solange es Nachfrage gibt, werde ich weitermachen – für mich ist das Tätowieren nicht nur ein Beruf, sondern ein essenzieller Teil meines Lebens.

Mein Studio ist mein Zuhause und es freut mich, eine Umgebung geschaffen zu haben, in der sich Künstler/innen und Kundschaft wohlfühlen. Ich glaube, dass sich Studios in Zukunft noch stärker als kreative Hubs etablieren werden, in denen nicht nur tätowiert wird, sondern auch Kunst und Wissen geteilt werden. Der Austausch zwischen erfahrenen Tätowierer/innen und neuen Talenten ist entscheidend, um die Qualität der Szene weiter voranzutreiben.

Die grösste Herausforderung für die Zukunft wird sein, die Authentizität, künstlerische Qualität und Hygienestandards des Tätowierens zu bewahren – in einer Welt, in der alles immer schneller, digitaler und kommerzieller wird.

Vielen Dank für das inspirierende Gespräch, Boris!

Deine Leidenschaft für das Tätowieren und dein Blick auf die Branche sind eine Bereicherung für die gesamte Tattoo-Community. Wer mehr über Boris und seine Arbeiten erfahren möchte, kann ihn unter tattooingatoz.com besuchen oder ihm auf Social Media folgen.

Interview Tattoomarkt