Paul Booth prägt seit beinahe vier Jahrzehnten massgeblich die Welt der dunklen Kunst zwischen Surrealismus und Gotik. Als vielseitiger Künstler – tätig als Tätowierer, Filmemacher, Bildhauer und Musiker – ist Booth bekannt für seine provokativen und grenzüberschreitenden Werke, die vielfältige Ausdrucksformen umfassen. Diese kreative Vielfalt und sein stetig weiterentwickelnder Stil haben ihm sowohl in der alternativen Szene als auch im Mainstream Anerkennung eingebracht.
Seine Karriere begann aus einem tiefen Bedürfnis heraus, komplexe Themen wie psychische Erkrankungen, Psychosen und Traumata künstlerisch auszudrücken. In den 1990er Jahren führte Booths unverwechselbarer Stil dazu, dass er schnell zu einem der gefragtesten Tattoo-Künstler für Prominente und Musiker aus der Metal- und Rock-Szene wurde, darunter Slayer, Pantera, Slipknot und Stars der WWE. Neben seiner Tattoo-Kunst etablierte er die Marke „Last Rites“ und eröffnete in Manhattan das renommierte Last Rites Tattoo Theatre & Gallery, das zum Zentrum seines künstlerischen Schaffens wurde.
Heute ist Paul Booth weiterhin aktiv in der Kunstszene und arbeitet an vielfältigen Projekten, darunter Gemälden, Skulpturen und seinem kommenden Spielfilm PERMANENCE. Im folgenden exklusiven Interview mit tattoo.ch gewährt Booth Einblicke in seine Inspirationen, künstlerischen Herausforderungen und Visionen für die Zukunft der Tattoo-Kunst:
Anfang & Inspiration
Hi Paul, deine Arbeit hat eine ausgeprägte dunkle Ästhetik. Wie entwickelte sich dein Interesse an Horror und düsterer Kunst?
Meine Kunst war offenbar schon immer düster. Ich habe sogar noch Hefte aus meiner Schulzeit mit Zeichnungen von Schädeln und Monstern, da war ich gerade mal acht Jahre alt. Meine Kindheit verbrachte ich mit einer Faszination für dunkle Dinge und auch heute, als Erwachsener, zieht mich die dunkle Seite der menschlichen Natur noch immer in ihren Bann.
Was führte dazu, dass du nach deinem Start als Maler und Bildhauer das Tätowieren als künstlerische Ausdrucksform entdeckt hast?
Ich bekam mit 19 Jahren ein Kind und liess mir bei ihrer Geburt ihren Namen tätowieren, um damit besser zurechtzukommen, dass ich so jung Vater wurde. Der gesamte Tätowiervorgang faszinierte mich unglaublich und ich beschloss sofort, alles darüber zu lernen. Damals dachte ich nicht einmal an eine Karriere; ich wollte es einfach lernen. Mich begeisterte der gesamte rituelle Prozess.
Persönlicher Stil & Technik
Wie gehst du vor, um Tattoos zu schaffen, die eine einzigartige Tiefe und emotionale Wirkung besitzen?
Ich weiss ehrlich gesagt nicht genau, wie ich das beantworten soll. Ich zeichne einfach das, was in meinem Kopf ist. Es scheint einfach von selbst herauszufliessen. Für mich ist es eine Art Befreiung von meinen eigenen Dämonen. Ich halte es für wichtig, Kunst als Therapie herauszulassen.
Gibt es bestimmte Werkzeuge oder Techniken, die für deinen kreativen Prozess besonders wichtig sind?
Die Umgebung, in der du arbeitest, ist äusserst wichtig. Deine Umgebung sollte deiner Kreativität förderlich sein. Du willst in einer inspirierenden Umgebung arbeiten, um deine beste Kunst zu schaffen. Ich umgebe mich mit Schädeln und düsteren, makabren Sammlerstücken. Wenn ich in einem Raum voller Regenbögen und Einhörner tätowieren müsste, würde ich wahrscheinlich wahnsinnig werden.
Verbindung zu Musik und Künsten
Siehst du Parallelen zwischen Musik und Tätowieren, besonders in der Zusammenarbeit mit einflussreichen Künstlern?
Ich habe über die Jahre viele Rock- und Metalbands tätowiert. Ich glaube, dass es eine direkte Verbindung zwischen aggressiver Kunst und aggressiver Musik gibt – sie passen einfach perfekt zusammen.
Künstlerische Herausforderungen
Deine Designs sind oft komplex und äusserst detailliert. Gibt es spezielle Herausforderungen bei der Umsetzung, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Jedes Tattoo ist eine Herausforderung, wenn man es zulässt. Ich fordere mich oft selbst heraus, indem ich experimentelle Techniken nutze. Andernfalls würde ich mich langweilen und vermutlich ganz mit dem Tätowieren aufhören.
Die Entwicklung des Tätowierens
Wie hat sich die Tattoo-Branche im Laufe der Jahre verändert und welche Entwicklungen siehst du kritisch?
Offensichtlich ist die Tattoo-Branche über die Jahre exponentiell gewachsen und hat sich zu etwas entwickelt, das mir fremd ist. Ich kann mich mit der heutigen Tattoo-Welt nicht mehr identifizieren und möchte das auch gar nicht. Sie ist zu stark verwässert, weil sie so gross geworden ist. Es wirkt, als kämpfe jeder für sich allein – es gibt keinen Zusammenhalt mehr. Das ist wirklich schade, denn für mich war das Tätowieren immer eine eigenständige Kunstform. Ich glaube, wenn sich der neue Hype gelegt hat, bleibt uns möglicherweise in fünf Jahren eine stärkere Branche erhalten.
Was hältst du vom zunehmenden Einsatz moderner Technologien wie Rotationsmaschinen oder digitalen Tattoo-Design-Tools?
Ich bin absolut für neue Technologien. Alles, was neu aufkommt, probiere ich mit Begeisterung aus. Innovation treibt jede Branche voran!
Erfolge & Meilensteine
Gibt es ein Tattoo oder Projekt, das für dich persönlich besondere Bedeutung hat?
Ich will nicht klischeehaft klingen, aber ich versuche wirklich, jedes Tattoo so besonders wie möglich zu gestalten. Einige Tattoos, die ich selbst trage, bedeuten mir aufgrund ihrer persönlichen Bedeutung mehr als andere.
Gibt es Momente in deiner Karriere, die du als Wendepunkte oder Meilensteine betrachtest?
Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wo ich anfangen sollte. Es gab viele Wendepunkte, während sich meine Karriere entwickelt hat. Ich denke jedoch, dass der Übergang vom Reisen innerhalb der USA zu weltweiten Reisen in meinen früheren Jahren ein grosser Wendepunkt war.
Ratschläge für angehende Tattoo-Künstler
Welchen Rat würdest du jungen Künstler/innen geben, die ihren Platz in der Tattoo-Branche suchen?
Die Branche hat sich zu stark verändert und meine Ratschläge wären eher passend für die Zeit vor 20 Jahren. Aber ich würde sagen: Konzentriert euch darauf, euer Bestes zu geben, anstatt davon zu träumen, ein Rockstar oder reich zu werden. Alles andere kommt dann von selbst!
Was unterscheidet deiner Meinung nach einen grossartigen Tattoo Artist von einem guten?
Ethik, technische Fertigkeiten und Talent.
Persönliche Einsichten & Vision
Neben dem Tätowieren bist du auch bekannt für deine Gemälde und Skulpturen. Was inspiriert dich bei diesen kreativen Arbeiten?
Meine gesamte Kunst hat denselben Ursprung – meinen kreativen Kern. Es geht mir um den kreativen Prozess an sich, nicht um die Werkzeuge. Ich gehe ein Tattoo genauso an wie ein Gemälde oder eine Skulptur. Es ist im Wesentlichen dasselbe für mich, nur die Werkzeuge ändern sich je nach Medium.
Was ist deine Vision für die Zukunft des Tätowierens? Welche Entwicklungen würdest du gern sehen?
Viele untalentierte Menschen, welche die Branche überflutet haben, werden verschwinden. Übrig bleiben werden echte Talente, die wirklich für das Tätowieren geschaffen sind. Ich denke, Tätowierungen erleben bald eine neue Blütezeit, in der echtes Talent und wahre Kunst wieder die Branche prägen werden.
An welchen Projekten arbeitest du derzeit und worauf dürfen sich deine Fans freuen?
Ich arbeite mehr denn je an grossen Tattoos wie Sleeves, Backpieces, Chestpieces und Ganzkörperarbeiten. Seit ich mein Studio geschlossen habe, kann ich mich besser auf meine Kunst konzentrieren und geniesse das sehr. Grössere Projekte sind extrem erfüllend.
Wir bedanken uns herzlich bei Paul Booth für die spannenden und offenen Einblicke in seine aussergewöhnliche Arbeit und faszinierende Gedankenwelt. Seine unermüdliche Kreativität und sein Mut, immer wieder neue und aussergewöhnliche Wege zu beschreiten, inspirieren Künstler/innen und Kunstliebhaber/innen weltweit.
Weitere Informationen, aktuelle Neuigkeiten und Einblicke in Paul Booths Arbeiten findet ihr auf seiner offiziellen Webseite paulboothart.com sowie auf seinem Instagram-Kanal.