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Tattoo-Trend

Tattoo-Kunst in der Schweiz: Zwischen Meisterwerk und Grauzone

Publiziert: 23.01.2025, 14:50

(Foto: Sayla Brown)

„Die Nadel surrt leise, das Motiv wird langsam sichtbar – auf einem fleckigen Küchentisch neben der Kaffeetasse. Was nach harmloser Heimarbeit klingt, kann gefährlich sein – für die Kundschaft und die gesamte Branche. Heimtattoos sind kein harmloser Trend, sondern ein wachsendes Problem.“

Tätowierungen sind in der Schweiz längst mehr als blosse Körperverzierungen. Sie sind Kunstwerke, die Geschichten erzählen und die Persönlichkeit eines Menschen ausdrücken. Doch hinter der kreativen Blüte der Schweizer Tattoo-Szene verbirgt sich eine dunkle Seite: Heimtattoos – Tätowierungen, die von Privatpersonen ausserhalb professioneller Bedingungen und Räumlichkeiten angeboten werden.

Was auf den ersten Blick wie eine preiswerte Alternative wirkt, entpuppt sich als gravierende Gefahr. Nicht nur die Gesundheit der Kundschaft steht auf dem Spiel – auch professionelle Studios kämpfen ums Überleben, da sie dem Preisdruck durch illegale Anbieter kaum standhalten können.

Das Problem „Black and Grey“

In der Tattooszene steht „Black and Grey“ eigentlich für einen bekannten Tattoo-Stil, der für seine kunstvollen Schattierungen geschätzt wird. Doch heute symbolisiert der Begriff auch die Schattenseiten der Branche: Schwarzarbeit, rechtliche Grauzonen und mangelnde Hygiene.

Heimtattoos, die oft in privaten Wohnzimmern, Küchen oder Hobbyräumen entstehen, umgehen nicht nur die gesetzlichen Meldepflichten, sondern auch essenzielle Standards wie Hygienevorschriften, Sozialabgaben und Steuerpflichten.

Das Ergebnis? Ein ruinöser Preiskampf. Während professionelle Studios hohe Investitionen in Ausbildung, Sterilität und hochwertige Geräte tätigen, umgehen Heimtattoo-Anbieter all diese Kosten – und können ihre Dienstleistungen entsprechend zu Dumpingpreisen anbieten.

„Wir arbeiten seit 15 Jahren nach höchsten Standards, investieren in Hygiene, Nachsorge und hochwertige Ausrüstung. Doch die Dumpingpreise der Heimtattoo-Anbieter bringen uns zunehmend in Existenznöte“, erklärt eine Tätowiererin eines bekannten Schweizer Studios, die anonym bleiben möchte.

Schweizer Meldepflicht: Theorie und Realität

Seit dem 1. Mai 2017 gilt in der Schweiz eine gesetzliche Meldepflicht für alle, die Tätowierungen anbieten. Nach einer einjährigen Übergangsfrist wurde diese Regelung ab dem 1. Mai 2018 vollständig verbindlich. Ihr Ziel ist es, Hygiene- und Sicherheitsstandards in der Branche zu gewährleisten:

Wer ist meldepflichtig?

  • Alle Betriebe (bzw. Personen), die gewerbsmässig Tattoos anbieten, müssen sich bei der kantonalen Vollzugsbehörde melden.
  • „Gewerbsmässig“ bedeutet, dass die Dienstleistung angeboten wird, um ein Entgelt oder Einkommen zu erzielen. Auch neben- oder halbberufliche Heimtätowierer/innen fallen darunter.

Wozu dient die Meldung?

  • Damit die kantonalen Behörden überhaupt wissen, wo solche Angebote stattfinden, und ihre Kontrollaufgaben (Stichproben, Hygiene-/Produktkontrollen) erfüllen können.
  • Gemäss Weisung 2018/2 wird erwartet, dass Kontrollen eine gewisse „Frequenz“ haben, wenn der Betrieb gemeldet ist. Unangemeldete (illegale) Home-Studios entziehen sich so leicht den Kontrollen.

Rechtsfolge bei Nichteinhaltung

  • Wer sich nicht meldet, begeht eine Widerhandlung gegen das Lebensmittelrecht (Art. 30 LMG: Strafen bei Übertretung). Die kantonalen Behörden können verwarnen oder Sanktionen verhängen, falls ein Betrieb ohne Meldung angetroffen wird.

Doch in der Praxis zeigt sich ein komplett anderes Bild:

  • Viele Heimtattoo-Anbieter melden sich gar nicht an und entziehen sich so den vorgeschriebenen Kontrollen.
  • Eine öffentlich zugängliche Liste registrierter Studios, die sich an die schweizerische Meldepflicht halten, fehlt – und mit ihr eine wertvolle Orientierungshilfe für Kund/innen.
  • Den Behörden fehlen oft die notwendigen Ressourcen, um die Vielzahl unangemeldeter (illegaler) Home-Studios effektiv zu überprüfen. Besonders absurd: Die zuständigen Vollzugsbehörden, wie beispielsweise das kantonale Labor, dürfen angeblich nicht einmal eigene Ermittlungen oder Nachforschungen durchführen, um Home-Tätowierer/innen aufzuspüren und zu kontrollieren.

Heimtattoos: Ein Gesetzesbruch, der unter die Haut geht

Ein Tattoo ist mehr als nur ein Kunstwerk – es ist ein Eingriff in den Körper. Deshalb gibt es in der Schweiz strenge Hygienegesetze, welche die Gesundheit der Kund/innen schützen sollen. Doch diese Vorschriften werden bei Heimtattoos, die in Wohnzimmern, Küchen oder Hobbyräumen entstehen, oft ignoriert. Schon die unzureichenden räumlichen Bedingungen machen Heimtattoos zu einem klaren Gesetzesbruch.

Gesetzliche Vorgaben schützen deine Gesundheit

Professionelle Tattoo-Studios in der Schweiz unterliegen strengen Hygiene- und Sicherheitsanforderungen. Diese Vorgaben basieren auf der Verordnung über Gegenstände für den Humankontakt (HKV), dem Lebensmittelgesetz (LMG) und der Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV). Zu den wichtigsten Regelungen gehören:

  • Sterile Instrumente: Nadeln und Geräte, die in die Haut eindringen, müssen sterile Einwegprodukte sein oder durch validierte Verfahren wie Autoklaven sterilisiert werden.
  • Hygienische Räumlichkeiten: Böden, Wände und Oberflächen müssen leicht zu reinigen und desinfizierbar sein. Kontaminationen während der Arbeit sind zu vermeiden.
  • Separate Arbeitsräume: Tätowierbereiche müssen vom Kunden- und Empfangsbereich getrennt sein und über Handwaschgelegenheiten, Einweghandtücher und geeignete Desinfektionsmittel verfügen.
  • Selbstkontrollpflicht: Studios sind gesetzlich verpflichtet, ihre Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass keine Gesundheitsrisiken entstehen.

Warum Heimtattoos die Standards niemals erfüllen können?

Im Gegensatz zu professionellen Tattoo-Studios entstehen Heimtattoos in hygienisch völlig unzureichenden Umgebungen wie Wohnzimmern, Küchen oder Hobbyräumen. Die Unterschiede könnten kaum drastischer sein.

Hier ein Blick auf die häufigsten Missstände:

  • Fehlende Sterilität und Desinfektion: In Heimtattoo-Umgebungen werden häufig unsterile Nadeln verwendet und grundlegende Desinfektionsmassnahmen fehlen vollständig. Farben stammen oft aus unbekannten Quellen, die keinerlei Qualitätskontrolle unterliegen – ein erhebliches Risiko für die Gesundheit. Materialien sind dabei auf möglichst niedrige Kosten im Einkauf ausgerichtet, was schwere allergische Reaktionen oder Infektionen verursachen kann.
  • Ungeeignete Räumlichkeiten: Tätowierungen werden auf verstaubten Sofas oder Küchenstühlen gestochen, während Teppiche und Haustiere in der Nähe einen idealen Nährboden für Keime und Bakterien schaffen.

Die gesetzlichen Vorgaben für professionelle Tattoo-Studios sind nicht nur Vorschriften – sie sind essenziell, um die Gesundheit der Kund/innen zu schützen und die Qualität der Arbeit sicherzustellen. Heimtattoo-Anbieter hingegen ignorieren diese Standards konsequent und setzen nicht nur dich, sondern auch sich selbst erheblichen Risiken aus. Wer sich für ein Tattoo entscheidet, sollte sich bewusst machen: Hygiene und Professionalität sind keine Optionen, sondern ein Muss.

Ungleicher Wettbewerb – Schwarzarbeit gefährdet die Branche

Während professionelle Studios registriert sind, Steuern zahlen und in teure Geräte investieren, profitieren Heimtattoo-Anbieter von ihrem illegalen Status. Sie bieten Dienstleistungen zu Dumpingpreisen an – auf Kosten von Qualität und Sicherheit.

Was muss sich ändern?

Um die Qualität und Sicherheit in der Schweizer Tattoobranche zu gewährleisten, braucht es konkrete Massnahmen:

  • Strengere Kontrollen: Behörden müssen mit mehr Ressourcen ausgestattet werden, um auch private Anbieter effektiv zu überprüfen.
  • Transparenz: Eine öffentlich zugängliche Liste registrierter Studios, die sich an die gesetzliche Meldepflicht halten, wäre ein grosser Schritt in Richtung Verbraucherschutz.
  • Aufklärung: Kund/innen müssen über die Risiken von Heimtattoos und die Vorteile seriöser Tattoo-Studios informiert werden.

Ein Appell an Tattoo-Fans

Eine Tätowierung bleibt ein Leben lang – spare deshalb nicht an der falschen Stelle, vor allem nicht bei der Hygiene. Achte auf professionelle Abläufe und stelle Fragen zur Seriosität des Tätowierenden. Lass dir eine Quittung für dein Tattoo geben – sie zeigt, dass das Studio seriös arbeitet, Steuern zahlt und dir rechtliche Sicherheit bietet, falls es zu Komplikationen kommt.

Fordere Nachweise oder Zertifikate, die belegen, dass grundlegende Standards eingehalten werden. Frage nach einer kantonalen Meldebestätigung, Hygieneschulungen oder weiteren Qualifikationen, die auf eine fundierte Ausbildung hinweisen. Denn wer in seine Ausbildung investiert, zeigt Verantwortung – und schützt deine Gesundheit.

Ein vermeintlich günstiges Tattoo aus dem Wohnzimmer kann schnell zum Albtraum werden. Die Schweizer Tattoo-Szene steht an einem Scheideweg. Um die Branche zu schützen, braucht es Engagement von Behörden, Tätowierer/innen und Kund/innen gleichermassen.

Nur mit Transparenz und gegenseitigem Verantwortungsbewusstsein kann die Zukunft der Schweizer Tattoo-Kunst gesichert und das Problem „Black and Grey“ effektiv bekämpft – oder, um es im Stil der Szene zu sagen, professionell gecovert – werden.

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